Möhler
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Johann Adam Möhler

Der Wegbereiter des modernen Katholizismus

Begriff der Kirche.
Durchdringung von Göttlichem und Menschlichem
in ihr.
Unfehlbarkeit derselben.


Unter der Kirche auf Erden verstehen die Katholiken die von Christus gestiftete sichtbare Gemeinschaft aller Gläubigen, in welcher die von ihm während seines irdischen Lebens zur Entsündigung und Heiligung der Menschheit entwickelten Tätigkeiten unter der Leitung seines Geistes bis zum Weltende vermittelst eines von ihm angeordneten, ununterbrochen währenden Apostolates fortgesetzt und alle Völker im Verlaufe der Zeiten zu Gott zurückgeführt werden.

Einer sichtbaren, in die Augen fallenden Verbindung von Menschen also ist so Großes, Wichtiges und Bedeutungsvolles anvertraut. Der letzte Grund der Sichtbarkeit der Kirche liegt in der Menschwerdung des göttlichen Wortes; hätte sich dasselbe den Herzen der Menschen eingesenkt, ohne die Knechtsgestalt anzunehmen, und somit überhaupt ohne auf eine leibliche Weise zu erscheinen, so würde es auch nur eine unsichtbare, innere Kirche gestiftet haben. Indem nun aber das Wort Fleisch geworden ist, sprach es sich selbst auf eine äußerlich vernehmbare, menschliche Weise aus, es redete als Mensch zu Menschen und litt und wirkte nach Menschenart, um die Menschen für das Reich Gottes wiederzugewinnen, so daß das Mittel, das zur Erreichung dieses Zweckes gewählt wurde, der durch die Natur und die Bedürfnisse des Menschen bedingten allgemeinen Unterrichts und Erziehungsmethode völlig entsprach. Dies war entscheidend für die Beschaffenheit jener Mittel, durch welche der Sohn Gottes auch noch nach seiner Entrückung aus den Augen der Welt in der Welt und für die Welt wirken wollte. Hatte sich die Gottheit in Christo in gewöhnlicher menschlicher Weise tätig erwiesen, so war damit die Form, in welcher sein Werk fortgesetzt werden sollte, gleichfalls bezeichnet. Die Predigt seiner Lehre bedurfte nun einer sichtbaren, menschlichen Vermittlung, und mußte sichtbaren, nach gewöhnlicher Art lehrenden und erziehenden Boten anvertraut werden, Menschen mußten zu Menschen sprechen, und mit ihnen verkehren, um das Wort Gottes zu ihnen zu bringen, und wie in der Menschenwelt alles Große nur in Gemeinschaft gedeiht, so ordnete Christus auch eine solche an, und sein göttliches Wort, sein lebendiger Wille und die von ihm aus sich ergießende Liebe übten eine innerlich vereinigende Kraft auf die Seinigen aus, so daß seiner äußeren Anordnung ein in das Herz der Gläubigen von ihm gelegter Trieb entsprach, somit eine lebendig verkettete, in die Augen fallende Verbindung derselben unter sich entstand, und gesagt werde konnte, da und da sind sie, da ist seine Kirche, seine Anstalt, in der er fortlebt, sein Geist fortwirkt, und das von ihm gesprochene Wort ewig fortertönt. So ist denn die sichtbare Kirche von dem eben entwickelten Gesichtspunkte aus, der unter den Menschen in menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich erneuernde, ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben, so wie denn auch die Gläubigen in der heiligen Schrift der Leib Christi genannt werden.

Hieraus leuchtet nun aber auch ein, daß die Kirche, obwohl sie aus Menschen besteht, doch nicht bloß menschlich sei. Vielmehr, wie in Christo Göttliches und Menschliches wohl zu unterscheiden, aber doch auch beides zur Einheit verbunden ist, so wird er auch in ungeteilter Ganzheit in der Kirche fortgesetzt. Die Kirche, seine bleibende Erscheinung, ist göttlich und menschlich zugleich, sie ist die Einheit von beidem. Er ist es, der in irdischen und menschlichen Gestalten verborgen in ihr wirkt; sie hat darum eine göttliche und menschliche Seite in ungeschiedener Weise, so daß das Göttliche nicht von dem Menschlichen, und dieses nicht von jenem getrennt werden mag. Diese beiden Seiten wechseln daher auch ihre Prädikate: ist das Göttliche, der lebendige Christus, und sein Geist in ihr allerdings das Unfehlbare, das ewig Untrügliche, so ist doch auch das Menschliche unfehlbar und untrüglich, weil das Göttliche ohne das Menschliche gar nicht für uns existiert; das Menschliche ist es nicht an sich, aber wohl als das Organ und als die Erscheinung des Göttlichen. Daher begreifen wir, wie Menschen so Großes, Wichtiges und Bedeutungsvolles anvertraut werden konnte.

In der Kirche und durch sie hat die von Christus angekündigte Erlösung mittels seines Geistes Wirklichkeit gewonnen, da in ihr seine Wahrheiten geglaubt und seine Institutionen [Einrichtungen, insbesondere die Sakramente] geübt werden, und eben dadurch lebendig geworden sind. Wir können demnach von der Kirche auch sagen, daß sie sei die objektiv gewordene christliche Religion, ihre lebendige Darstellung. Indem das von Christus gesprochene Wort (dieses in seiner weitesten Bedeutung genommen) mit seinem Geiste in einen Kreis von Menschen einging und von denselben aufgenommen wurde, hat es Gestalt, hat es Fleisch und Blut angenommen, und diese Gestalt ist eben die Kirche, welche somit als die wesentliche Form der christlichen Religion selbst von den Katholiken betrachtet wird. Indem der Erlöser durch sein Wort und seinen Geist eine Gemeinschaft stiftete, in welcher er sein Wort lebendig werden ließ, vertraute er eben ihr dasselbe zur Bewahrung und Fortpflanzung an; er legte es in ihr nieder, auf daß es aus ihr als immer dasselbe und doch auch ewig neu und in immer frischer Kraft hervorgehe, wuchere und um sich greife. Sein Wort ist von der Kirche und seine Kirche vom Wort nimmermehr ablösbar. (...)

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